Gesundheitliche Vorausplanung für Menschen mit psychischen Erkrankungen

Psychische Erkrankungen wie schwere Depressionen, bipolare oder schizophrene Psychosen, Suchterkrankungen u.a. können zu Situationen führen, in denen Patient*innen einwilligungsunfähig sind und eigene Entscheidungen nicht treffen oder nicht kommunizieren können. Die Realisierung des Selbstbestimmungsrechts von Patient*innen auch in solchen Situationen hat in den letzten Jahrzehnten einen hohen ethischen und rechtlichen Stellenwert erlangt. In Folge dieser Entwicklung haben Patientenverfügungen und andere Formen vorsorglicher Willensbekundungen in der Medizin und somit auch in der Psychiatrie und Psychotherapie an Bedeutung gewonnen. Sie eröffnen Menschen die Möglichkeit, eigene Behandlungswünsche für den Fall späterer Einwilligungsunfähigkeit verbindlich festzulegen bzw. eine Vertrauensperson als Vertreter in Gesundheitsangelegenheiten zu benennen. Damit stärken sie die Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit kranker Menschen, dienen der Optimierung der individuellen Behandlung und fungieren als Kommunikations- und Orientierungshilfe.

Eine rechtliche Aufwertung haben vorsorgliche Willensbekundungen mit dem Patientenverfügungsgesetz von 2009 erhalten. Dieses stellt klar, dass einwilligungsfähige Erwachsene ihre Behandlungswünsche bezogen auf künftige Behandlungssituationen schriftlich in einer Patientenverfügung dokumentieren können. Die dokumentierten Behandlungswünsche sind dann unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung verbindlich, sofern sie ausreichend konkret und auf die aktuelle Behandlungssituation anwendbar sind. Bezogen auf den Bereich der Psychiatrie bedeutet dies: Menschen mit einer psychischen Erkrankung können für den Fall, dass sie krankheitsbedingt nicht einwilligungsfähig sind, in einer Patientenverfügung vorausschauend in bestimmte psychiatrische Behandlungen einwilligen oder diese verbindlich ablehnen.

Eine Alternative zur psychiatrischen Patientenverfügung, die eine Patient*in einseitig und auch ohne vorheriges ärztliches Gespräch erstellen kann, stellt die psychiatrische Behandlungsvereinbarung dar. Ein solches Dokument wird z.B. am Ende einer stationären Behandlung – nach gemeinsamem Gespräch – von den Behandelnden und der Patient*in erstellt und von allen Beteiligten unterzeichnet. Darin werden Wünsche, Präferenzen und Informationen der Patient*in u.a. zur stationären Aufnahme, zur Art und Umfang der gewünschten Behandlung, zur Besuchsregelung oder zur sozialen Situation der Patient*in für den Fall einer erneuten stationären Behandlung dokumentiert. An der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen wurde 2013 in Zusammenarbeit mit dem Klinischen Ethikkomitee und Vertretern von Selbsthilfegruppen für Psychiatrie-Erfahrene und deren Angehörige ein entsprechendes Formular erarbeitet und implementiert.

Eine weitere Form der gesundheitlichen Vorausplanung ist der psychiatrische Krisenpass. Er ist klein, passt in jedes Portemonnaie und enthält knapp zusammengefasst die wichtigsten Informationen für den psychiatrischen Krisenfall. Mit dem Ziel, ein weiteres, niedrigschwellig anwendbares Dokument zur Realisierung von Patientenautonomie und zur Weitergabe wichtiger Informationen in der psychiatrischen Notfallsituation zu schaffen, hat die Gesundheitsregion Göttingen/Südniedersachsen Anfang dieses Jahres einen „Krisenpass Südniedersachsen“ herausgegeben. An seiner Erstellung waren verschiedenste Institutionen beteiligt, wie z.B. die Initiative Göttinger Psychose-Seminar, die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie sowie das Klinische Ethikkomitee der UMG, das Asklepios Fachklinikum Göttingen,  niedergelassene Psychiater und Nervenärzte in der Stadt und im Landkreis Göttingen sowie die Sozialpsychiatrischen Dienste Göttingen und Northeim.

Der „Krisenpass Südniedersachsen“ richtet sich an Personen, die wiederholt unter psychischen Krisen leiden. Er beinhaltet Hinweise für die Behandlung im psychiatrischen Notfall. Neben praktischen Informationen können auch Behandlungswünsche und Bewältigungsstrategien in psychischen Krisen kurz und knapp formuliert werden. So enthält ein ausgefüllter Krisenpass Südniedersachsen Informationen zur eigenen Person (Name, Geburtsdatum, Anschrift, Telefonnummer, Krankenkasse) und die Namen und Telefonnummern wichtiger Kontaktpersonen. Ferner kann im Krisenpass der Hinweis auf eine eventuell bestehende Patientenverfügung oder Behandlungsvereinbarung dokumentiert werden. Wichtiger Bestandteil sind Hinweise zur aktuellen Medikation bzw. zu hilfreichen sowie weniger hilfreichen Medikamenten im psychiatrischen Notfall, aufbauend auf Erfahrungen aus früheren Krisensituationen. Weiterhin können wichtige Angaben gemacht werden, ob Angehörige wie minderjährige Kinder oder pflegebedürftige Verwandte von der Inhaber*in des Krisenpasses Südniedersachsen versorgt werden müssen oder ob sie Haustiere besitzt, um die sich nun vorübergehend jemand anderes kümmern muss. Ergänzend können Hinweise zu psychiatrischen Diagnosen bzw. Begleiterkrankungen gegeben werden, die im Notfall für das ärztliche Personal wichtig sein können, um die richtige Behandlungsmethode auszuwählen und der Patient*in umsichtig helfen zu können. Ferner findet man auf dem Krisenpass einen Verweis auf die Homepage der Gesundheitsregion Göttingen/Südniedersachsen, wo weitere Informationen zum Krisenpass sowie eine Gebrauchsanleitung zum Ausfüllen des Dokuments hinterlegt sind. Der Krisenpass kann allein oder aber auch mit Unterstützung von ärztlichem Personal ausgefüllt werden. Der zeitliche Aufwand dafür ist gering. Im Falle einer psychischen Krise kann er dem ärztlichen Notdienst, dem Rettungsdienst oder bei stationärer Aufnahme der Klinik vorgelegt werden und so die Kommunikation erleichtern.

Der Krisenpass Südniedersachsen soll als prägnantes, einfach zu handhabendes Instrument der Vorausplanung für psychische Krisen dafür sorgen, dass individuelle Bedürfnisse von Patient*innen besser verstanden und umgesetzt werden. Weiterhin soll er dabei helfen, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen ihr Selbstbestimmungsrecht wahrnehmen können, auch in Krisensituationen, wenn die Verständigung schwierig ist.

Den Krisenpass Südniedersachsen erhalten Sie bei Ihrer Hausärzt*in oder Psychiater*in bzw. Psychotherapeut*in. Weiterhin können Sie ihn – auch in mehrfacher Ausfertigung – bei der Gesundheitsregion Göttingen/Südniedersachsen unter info@gesundheitsregiongoettingen.de bestellen. Dies gilt auch für ärztliche und psychotherapeutische Kolleg*innen.

Die Autor*innen:

Dr. med. Katrin Radenbach, Oberärztin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen
Prof. Dr. phil. Alfred Simon, Wissenschaftlicher Leiter der Akademie für Ethik in der Medizin und Vorsitzender des Klinischen Ethikkomitees der Universitätsmedizin Göttingen